Ich habe folgende Fähigkeit, seit ich denken kann:
Ich ziehe merkwürdige Leute an, die mir ein Gespräch aufzwingen möchten.
Zugegeben: In meinen jüngeren Jahren ist das häufiger vorgekommen. Mittlerweile werde ich seltener angesprochen. Wahrscheinlich, weil ich eine Sprich-mich-nicht-an-Mauer um mich herum errichtet habe.
Warum ich diese Fähigkeit erwähne?
Nun, heute begab es sich, dass ich früh morgens spazieren gegangen bin. Ich tue das, um mir wieder eine Routine anzugewöhnen. Sonst gehe ich nämlich außer zum Einkaufen nicht mehr aus dem Haus und, nun ja, dieser Lebensstil ist nicht gerade der gesündeste.
Ich habe also meine Sportleggings angezogen, die schon die besten Jahre hinter sich hat. Das macht sich nicht im Äußeren bemerkbar, sondern darin, dass sie nicht mehr besonders gut riecht und ich diesen Geruch einfach nicht mehr rausbekomme. Für einen Spaziergang an der frischen Luft ist sie aber allemal geeignet 😉 Außerdem habe ich einen Pulli und eine gefütterte Weste getragen. So weit so gut. Ich wechsle für die folgenden Ereignisse mal ins Präsens:
Ich stapfe eilig voran, weil ich diese Aktivität irgendwie hinter mich bringen will, da spricht mich ein Mann von der Seite an. Ich, tief in meinen Gedanken versunken, drehe den Kopf und mustere ihn: alt, vielleicht 65, dünn, Jeans-Jacke und -Hose, grauer Schnurrbart. Er fährt auf einem Fahrrad.
„Sie sind ganz schön sportlich unterwegs“, sagt er. Seinem Dialekt nach kommt er aus dem Norden, irgendwo von der Küste. Ich denke sofort an Hamburg.
Ich: „Wieso?“ Ich frage, weil ich mir nicht sicher bin, ob er mein Outfit oder meinen flotten Gang meint.
„Na, so wie Sie aussehen. Sportlich. Richtig schick.“ Seine Augen scannen mich von oben bis unten.
A ja.
„Ähm, danke“, sage ich, will erst einmal höflich sein. „Sie sind aber auch sportlich unterwegs.“ Ich meine sein Fahrrad. Ich laufe weiter, noch nicht ganz sicher, wie ich ihn einschätzen soll. Mein Bauch weiß es aber bereits.
„Ja, ja“, antwortet er. „Ich fahre jeden Tag.“
Ich nicke, laufe weiter und gebe nonverbale Signale, dass das Gespräch jetzt beendet ist. Nicht mit ihm! Er ruft mir hinterher:
„Warten Sie!“
O nein, was kommt jetzt?
„Haben Sie einen Mann?“
… „Nein.“ Ich wende mich ab.
„Einen Freund?“, hält er mich weiter auf.
Ich lüge, damit er mich vielleicht in Ruhe lässt. „Ja.“
Er lächelt. Seine Augen blitzen. „Ah. Nennt er Sie Schatz oder Schatzi?“
Was? „Ja, manchmal.“ Jetzt bin ich doch neugierig, was er will.
Er nickt wissend. „Ja, also, ich habe meine Freundinnen niemals Schatz oder Schatzi genannt. Denn wissen Sie, wo das herkommt?“
Nein, aber du wirst es mir gleich sagen, was? „Nee, woher?“
Er nickt heftiger. Jetzt kommt sie: die Pointe, auf die er die ganze Zeit gewartet hat, zu erzählen: „Ja, weil früher waren sich die Männer nie sicher, ob sie ihre Frau Schaf oder Ziege nennen sollen. Also ist daraus Schatzi geworden.“
„Ha ha“, sage ich mit einem gequälten Lächeln und gehe weiter. Er folgt mir. Ich drehe ab. „Ah, ich gehe heute doch lieber da lang“, sage ich. „Auf Wiedersehen!“ Ich werfe die Worte automatisch über meine Schulter, ohne ihn noch einmal anzublicken.
Er bleibt zum Glück auf seinem Weg und verabschiedet sich.
Was habe ich gelacht! Wahrscheinlich spricht er heute Abend mit seinen Kumpels darüber und erzählt, was für einen grandiosen Witz er gerissen hat und wie sich die Frau köstlich darüber amüsiert hat. Witze über Frauen werden nie alt. Kennste, kennste?
Zumindest hat dieses Erlebnis einen neuen Blogbeitrag erzeugt 🙂